Jürgen Waller:
„Die Leute wollen da gar nicht dran erinnert werden."


Teil 2
Und als Du das Wandbild restauriert hast, da hast Du wieder mal unter der „Aufsicht" der Anwohner gearbeitet. Wie war da die Reaktion?

Positiv. Das Ding war ziemlich runtergekommen, und zwar weil man einfach die Dachrinnen nicht gepflegt hat. Es hieß immer: „Ja, wir haben kein Geld!" Außerdem muss man dazu sagen, das es damals als ephemere Kunst angelegt war. Es war nicht abzusehen, dass sich dann so zwei drei heraus entwickelten, die eine historische, und nicht nur historisch, sondern auch eine funktionelle Bedeutung haben. Ich habe später dieses eine „Gegner und Opfer des Faschismus" gemalt. Das ist 24 Meter breit und 25 Meter hoch, das ist natürlich ein ganz anderes Bild. Das eine steht und das andere kommt jetzt unter Denkmalschutz. Auch das muss im Herbst restauriert werden. Im letzten Jahr sind aus dem Beton Steine auf Autos gefallen.
"Den Gegenern und Opfern des Faschismus"
Jürgen Waller, 1984
Bunker Bremen Findorff, Admiralstrasse
Daraufhin bekam der Kultursenator Druck vom Innensenator, dem diese ganzen Bunker unterstehen. Daher haben sich die Leute, als ihr Auto kaputt war oder eine Beule hatte, an den Innensenator gewandt und der hat sich dann sofort an den Kultursenator gewandt „Ihr müsst renovieren".

Also man hat damit gar nicht gerechnet, dass die Bilder langfristig bleiben werden. Die Dinger sollten eigentlich nach drei, vier, fünf Jahren wieder überstrichen werden.

Die dargestellte Geschichte von Gröpelingen endet mit dem Fries 1978, kurz bevor die Werft zumacht, in der damaligen Jetzt-Zeit. Du sagtest eben selbst, die Schließung ist schon angedeutet, daher war das damals hochaktuell. Wie aktuell ist es heute noch, für den Stadtteil?

Gar nicht! Der Stadtteil hat sich total gewandelt.

Die Bevölkerungsstruktur hat sich insofern stark gewandelt, dass eine Mehrheit türkische Migranten ist. Viele der Werftarbeiter von damals haben sich selbstständig gemacht. Es gab Leute, die drehten die Form für die Schiffsschrauben, die haben gesagt, „OK Schiffsschrauben brauchen wir immer, wir sind drei Leute, wir versuchen es einfach!" Sie haben sich selbstständig gemacht und kriegten Aufträge. Es gibt also nach wie vor sehr viel Schiffsbau, aber im Detail. Dann gibt es, da wo die AG-Weser früher war, ein riesen Einkaufszentrum. „Waterfront" nennt sich das, weil es halt am Wasser ist. Der Stadtteil hat sich gewandelt, hat aber nach wie vor eine große Arbeitslosigkeit.

Müsste man die Geschichte vielleicht jetzt weiterschreiben? Auf dem Bunker sind ja 100 Jahre Geschichte zu sehen, könnte man da nicht die nächsten 30 Jahre bildnerisch umsetzen?

Sie ist ja nicht mehr so signifikant wie eine solch große Werft, in der fast jeder Bewohner Gröpelingens gearbeitet hat, oder aus jeder Familie ein Mensch, ein Mitglied einer Familie bei AG-Weser gearbeitet hat. Das gibt es ja nicht mehr. Es gibt kleine Geschäfte, es gibt so kleine Zwei-Mann-, Drei-Mann-Betriebe. Was soll man daraus machen? Es ist nichts aufregendes mehr passiert.
Es gibt ja in relativer Näher zum Bunker die Skulpturen „Zur Schicht" von 1983 von Waldemar Otto und Bernd Altensteins „Hände" von 1987. Wäre das eventuell noch ein bisschen eine Fortschreibung?
"Zur Schicht"
Waldemar Otto, 1983
Bremen, Lindenhofstrasse
Nein, die kamen ja beide später. Erstmal, das Ding von Altenstein ist grausam, eigentlich müsste man das eingießen. Waldemar Otto hat da so seinen Clown, mit einer Aktentasche, wo früher die Butterbrote drin waren. Die stehen auch an Plätzen, die mit der AG-Weser nichts zu tun haben.
"Hände"
Bernd Altenstein, 1987
Bremen
Marktplatz am Pastorenweg
Jetzt nochmal etwas ganz allgemeines: Du hast ja vor 68 und bis 78 auch schon politische Kunst gemacht, von daher ist es nicht ganz überraschend gewesen, das Du an so einem Bild gearbeitet hast. Aber es waren Tafelbilder. Gibt es trotzdem in Deinem Werk eine Linie?

Natürlich gibt es eine Linie!

Nein, das Problem ist einfach, ich habe bis 68 hier [in Vallauris] und in Paris oder in Varreddes gearbeitet und bin dann eben 68 nach Berlin gegangen. Und da ist dann
schon ein Bruch, weil in Westberlin kriegte man das ja Hautnah mit. Wenn ich meine Bilder ausstellen wollte, bekam ich gesagt „Dann geh doch nach drüben!" Die Reaktionen waren ganz anders. Hier gab es eine starke KP, das war hier kein Schimpf und Schande, bei uns ja.
Ich hatte ja dann 71 meine erste Ausstellung in Tempelhof. Erstmal gab es da einen Zyklus, da hat man mir geraten, den nicht aufzuhängen. Da habe ich meinen Zeitungsboten porträtiert, war auch so ein alter Antifaschist, der mir jeden Tag die Mini-Prawda brachte. Den habe ich gemalt und den habe ich seine Geschichte erzählen lassen. Da hat man mir schon geraten, den Zyklus lieber nicht in die Ausstellung zu geben. Und da hab ich noch „OK" gesagt .
Aus dem Zyklus
"Im Namen des Vokes.
Der Leidensweg des Erwin König."
Porträt Erwin König
Jürgen Waller, 1971
Dann, nach drei Tagen, bekam ich einen Anruf, dass sie den Neckermann abhängen müssten, weil die Jüdische Gemeinde, Herr Galinski an vorderster Front, hätte in dem Bild antisemitische Züge erkannt. Ich hatte nun aber das Glück, dass einer der wichtigsten deutschen Kritiker damals, Heinz Ohff, mir das Vorwort für den Katalog geschrieben hat. So habe ich dann auch gleich eine einstweilige Verfügung bewirkt. Das ging hin und her. Auch da war es wieder so, dass das Bild im Keller war, aber wenn die Presse kam, wurde es wieder aufgehängt, damit man sehen konnte, was es für ein schlimmes Bild ist. So schoss sich die Presse auf einmal auf das Bild ein, aber positiv. In dem Zusammenhang gab es eine große Versammlung und da hieß es auch, solche Bilder wollen wir hier nicht sehen, die können sie da drüben ausstellen. Ich sagte: „Da drüben wollen die die auch nicht." [Lacht herzlich]
"Reitet für das Kapital"
Jürgen Waller, 1971
Ja ich hatte dann, 1987 war das, im alten Museum in Ost-Berlin [Galerie neue Meister] , die erste große Einzelausstellung eines Westdeutschen Künstlers. Es gab vorher eine, da waren zehn Künstler beteiligt, die wurde veranstaltet von, wie hieß dieser Verein, es gab ja keine Botschaft, aber von der ständigen Vertretung in Ost-Berlin. Das waren Kiefer, Lüppertz, Polke, Richter usw. usf. Dann kam meine. Und als sie sie gesehen haben, insbesondere, dass die Bilder sie etwas angehen, da haben sie die Ausstellung fast verschwinden lassen.

Nein, wie gesagt, zwischen Paris und West-Berlin war schon eine ganz andere Situation.
Wie Du sagst hast Du Deinen Briefträger porträtiert, der Antifaschist war, dann ist das ein Motiv, dass auch in Gröpelingen wieder auftaucht.

Jaja!

Das ist irgendwie nicht ganz überraschend, kann man sagen. Das ist schon irgendwie eine Linie?

Ja! Hier waren die Bilder alle sehr blockhaft, Einzelfiguren, aber das waren auch mehr Stereotypen. Und das hat sich in Berlin total geändert.

Man könnte also abschließend feststellen, dass es bei Dir eine Entwicklung von sozial-politisch motivierter Malerei vor 1968 in Frankreich, über politische Tafelbilder ab 1968 in Berlin, hin zur ersten Historien-Wandmalerei seit dem 2. Weltkrieg im ehemaligen Westdeutschland gab. Da scheint es auch kein Zufall zu sein, dass sich gerade dieses Gemälde im öffentlich Raum, genauer auf der Straße auf einem Bunker und nicht in irgendeinem Verwaltungsbau befindet, oder?
Meine ersten politischen Bilder sind 1961 in Frankreich gegen den Algerienkrieg entstanden. Das war so: mein erster Schwiegervater war ein hoher Funktionär in der KP. Der nahm mich mit, um Plakate gegen den Algerienkrieg zu kleben. Ich war damals ein-, zweiundzwanzig und für mich als Deutschen waren die Kriege damals vorbei. Hier kam ich dann in die Situation, dass Frankreich zwar Krieg führte, aber auch irgendwo ganz woanders, und dass es Leute gab, die sich gegen den Krieg gewehrt haben. Ich war zwar schon vorher politisiert, aber das hat dann nochmal so einen Kick gegeben, sich intensiv mit Kolonialismus zu beschäftigen. In Deutschland gab es das nur in extrem kleinem Maße. Wir haben ja keinen Krieg mehr gehabt, wir waren ja glücklich mit dem Wiederaufbau, wir hatten die ersten Jahre unseres sogenannten „Wirtschaftswunders", wir
"Paix en Algerie"
Jürgen Waller, 1961
konnten wieder reisen. Ich kam nach Frankreich und hörte in jedem dritten Satz „Sale Bosch". Ich hab dann gesagt „Ich kann da leider nichts dazu". Dann habe ich angefangen zu diskutieren, dass ich leider, nein, dass ich Gott sei Dank nichts dazu kann. Ich kannte noch nicht das Wort, dass hat ja Kohl geprägt, „die Gnade der späten Geburt". Ich hätte denen das so um die Ohren gehauen, ich hatte damit nichts zu tun. Was mein Vater gemacht hat, da kann ich nichts zu sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er jemanden umgebracht hat, aber was die erlebt haben, ich weiß es nicht. Was die gesehen haben, was sie nicht erzählen durften, weiß ich auch nicht. Aber ich konnte versuchen, diese Geschichte auf dem Bunker zu erzählen, dort, wo es jeder sehen kann.

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview wurde am 9. Juli 2010 geführt.
©  2010 ARTIFICIALIS

Zurück zum ersten Teil des Interviews

Home
Das Historienbild
"Geschichte des Stadtteils Gröpelingen und der AG-Weser - 1878-1978"

Das Programm
"Kunst im öffentlichen Raum"
in Bremen

Der Maler, Keramiker und Objektmacher Jürgen Waller wurde 1939 in Düsseldorf geboren und lebt heute in Bremen und Vallauris.

Jürgen Waller studierte kurz an der Kunstakademie Düsseldorf, ging dann jedoch 1960 nach Frankreich (Vallauris, Paris und Varreddes). 1968 siedelte er nach West-Berlin über. Aufgrund der zunehmend politischen Themen in seinem Werk wird er zu dieser Zeit dem politisch engagierten Flügel des Berliner Kritischen Realismus zugeordnet.

Mit seiner Berufung an die Bremer Hochschule für Künste (ehemals gestaltende Kunst und Musik) ging er nach Bremen. Der Kontakt zu Vallauris brach jedoch nie ab. Dort begann er 1982 im Atelier von Olivier Roy die Arbeit mit Keramik.

Nach dem Besuch eines Kohlestollens in Oberhausen 1984 wird seine Arbeit von der Farbe schwarz dominiert.

Von 1989 bis zu seiner Emeritierung 2002 war Jürgen Waller Rektor der Hochschule für Künste Bremen und zwischen 1993 -1998 auch Vorsitzender der Konferenz der Präsidenten und Rektoren der deutschen Kunsthochschulen.

2002 gründete er die International Academy of Arts, die seit 2005 neben ihrem Standort Vallauris.

http://www.juergenwaller.de